FoodTalk zur Pestizid- und Trinkwasser-Initiative: Die Erkenntnisse

01. Juni 2021 | von Benjamin Krähenmann
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Am 17. Mai 2021 ist der vierte FoodTalk erfolgreich über die digitale Bühne gegangen. Vielen Dank an alle, die zugehört, Fragen gestellt und mitdiskutiert haben. Ein grosses Dankeschön gebührt den vier Expert*innen Ferdi Hodel, Martin Ott, Patricia Mariani und Bernadette Oehen sowie der Moderatorin Jeannette Behringer.

An dieser Stelle gehen wir kurz auf den Inhalt der beiden Initiativen ein, bilden die Statements der Expert*innen zu den beiden Initiativen ab und präsentieren euch ausgewählte Fragen und Antworten.

Worum geht es bei den beiden Initiativen?
Die Pestizid-Initiative (PI) fordert ein Verbot synthetischer Pestizide in der Schweiz. Das Verbot würde nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die vor- und nachgelagerte Industrie oder die Infrastrukturpflege (z. B. die Pflege von Bahngleisen) gelten. Ausserdem wird ein Importstopp von Lebensmitteln, die mit synthetischen Pflanzenschutzmitteln hergestellt wurden, gefordert. Ausnahmen sollen dann bewilligt werden, wenn die Landwirtschaft, die Bevölkerung oder die Natur massiv bedroht wären, beispielsweise im Falle einer ausserordentlichen Versorgungsknappheit.

Die Trinkwasser-Initiative (TWI) möchte erreichen, dass die Direktzahlungen für die Landwirtschaft an neue, strengere Vorgaben geknüpft werden. Landwirtschaftsbetriebe müssten pestizidfrei produzieren, Antibiotika dürften weder vorbeugend noch regelmässig eingesetzt werden und die Betriebe sollten in der Lage sein, ausreichend Futter für den eigenen Viehbestand produzieren zu können.

Statements der Expertinnen zu den Initiativen
Ferdi Hodel, Geschäftsführer Zürcher Bauernverband (ZBV)

  • In der Schweiz gibt es kein vergiftetes Trinkwasser. Die Sensibilität der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren aber verändert. Dies zeigt sich am Beispiel des Fungizids Chlorothalonil: Es wird seit 50 Jahren in der Landwirtschaft eingesetzt und wurde damals mit der Begründung freigegeben, dass es unbedenklich sei. Vor zwei Jahren wurden die Grenzwerte neu definiert, darum tauchten in der Statistik erhöhte Werte auf.
  • Grundsätzlich werden Pflanzenschutzmittel bereits jetzt sehr gezielt eingesetzt, um Fäulnis und Schädlinge zu bekämpfen. In den letzten Jahren ist der Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel um 40 Prozent zurückgegangen. Der ZBV vertritt die Haltung, dass die Bäuerinnen und Bauern Teil der Lösung und nicht des Problems sind. Es braucht eine Lösung, gemeinsam ausgearbeitet von Produzent*innen, Konsument*innen und Stimmbürger*innen.
  • Die beiden Initiativen sollten an ihrem Text gemessen werden, insbesondere die TWI. Sie würde die Probleme teilweise ins Ausland verlagern. Bei beiden Initiativen würde durch die Umstellung auf eine biologische Produktionsweise weniger produziert und mehr Foodwaste entstehen.

Martin Ott, Landwirt und Co-Schulleiter der biologisch-dynamischen Ausbildung in Rheinau ZH

  • Die beiden Initiativen bieten die Möglichkeit einer Weichenstellung. Das Bild der Landwirtschaft soll sich ändern, das ist zentral. Folgende Fragestellung ist zu diskutieren: Kann der Mensch während der Nahrungsmittelproduktion den Planeten erhalten oder nicht? Ist der Mensch ein Schädling oder ein Nützling?
  • Die Landwirtschaft ist kein Verbrauch, sondern ein Nutzen von Ressourcen. Landwirtschaft ist der Mehrwert, den wir während der Nahrungsmittelproduktion generieren. Hierbei sind vier Ebenen zu unterscheiden. Erstens soll der Boden aufgebaut statt verbraucht werden. Zweitens sollen Biodiversität und Produktion nicht auseinandergenommen, sondern zusammengedacht werden. Die Tiere sollten drittens nicht ausgenutzt werden. Viertens und letztens ist festzuhalten, dass Menschen mit Freude in der Landwirtschaft arbeiten sollten.
  • Den konventionellen Betrieben würden mit der TWI keine Verbote auferlegt, sondern sie würden nicht mehr mit Direktzahlungen unterstützt, von daher ist dies eine liberale Initiative.

Patricia Mariani, Kommunikationsverantwortliche und Co-Geschäftsleiterin Kleinbauern-Vereinigung

  • Die Kleinbauern-Vereinigung unterstützt die PI und hat zur TWI Stimmfreigabe beschlossen. Die TWI ist in der Landwirtschaft stärker umstritten. Zwar stimmt die Stossrichtung, es werden aber nur Produzent*innen in die Pflicht genommen.
  • Bei der PI werden alle in die Pflicht genommen. Die PI ist eine einmalige Chance für einen Richtungswechsel: Die Sackgasse der industriellen Landwirtschaft, von der vor allem die vorgelagerte Industrie und der nachgelagerte (Detail-)Handel profitieren, wird verlassen. Stattdessen wird eine vielfältige, ökologische Landwirtschaft konsequenter gefördert und aus der Nische befördert. Die Übergangsfrist von zehn Jahren ist ausreichend und tausende Bio- und Demeter-Bäuer*innen zeigen heute schon, dass pestizidfrei funktioniert (auch deren Verbände haben die Ja-Parole zur PI beschlossen).

Bernadette Oehen, Co-Leiterin des Departements für Sozioökonomie am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL)

  • Beide Initiativen kommen aus der Mitte der Bevölkerung und wurden nicht von Verbänden oder Parteien lanciert. Sie reihen sich ein in eine Serie von Initiativen, die die Schweizer Landwirtschaft in den 1990er- und 2000er-Jahren mitentwickelt haben. Die PI und die TWI entstanden aus dem Zweifel, ob die Schweizer Landwirtschaft bezüglich Biodiversität und Trinkwasserbelastung im internationalen Vergleich wirklich besser dasteht. Dank der beiden Initiativen findet nun eine breite Diskussion über diese Themen statt, die es sonst nicht gäbe.
  • Ein Anliegen der PI ist der Schutz der Schweizer Einwohnerinnen und Einwohner. Die TWI ist zwar nicht ganz so präzise formuliert, spricht aber alle relevanten und problematischen Themen in der Landwirtschaft an: den Verlust der Biodiversität, den Stickstoffüberschuss aufgrund des Futtermittelimportes sowie den präventiven Einsatz von Antibiotika.
  • Neben dem Trinkwasser sind auch das Grundwasser und die Fliessgwässer, insbsondere die Bäche, belastet. Das Trinkwasser ist einerseits grundsätzlich von guter Qualität, weil für die Filterung ein grosser Aufwand betrieben wird. Andererseits wurden gewisse Quellen gesperrt, beispielsweise im Ackerbaugebiet des Mittellands. Die Belastung des Grundwassers stellt hingegen ein grosses und schwierig zu lösendes Problem dar.

Fragen & Antworten
Welche Auswirkungen hätten die Initiativen auf kleinbäuerliche Betriebe gegenüber Grossbetrieben?

  • «Die Auswirkungen auf kleinbäuerliche Betriebe können nicht verallgemeinert werden: Es gibt intensiv und für den Grosshandel produzierende Kleinbauern und solche, die Direktvermarktung betreiben. Für letztere wären die Auswirkungen sicherlich weniger gross. Die Kleinbauern-Vereinigung ist aber der Überzeugung, dass eine pestizidfreie Produktion sowohl für Gross- als auch Kleinbetriebe möglich ist.» (Patricia Mariani)
  • «Die Grösse des Betriebs ist nicht entscheidend. Gemüse- und Obstbetriebe könnten bei einer Annahme der TWI jedoch aus dem ökologischen Leistungsnachweise (ÖLN) aussteigen. Die Raps-, Zucker- und Kartoffelproduktion wäre bei einer Annahme der TWI nicht mehr möglich.» (Ferdi Hodel)

Was würde sich für Bio-Bäuerinnen und -Bauern konkret verändern?

  • «Es würde sich nichts ändern, weil die Bio-Bäuerinnen und -Bauern bereits pestizidfrei produzieren.  Einzige Ausnahme ist der Futterzukauf aus dem Ausland, der auch für Bio-Betriebe nicht mehr möglich wäre. Innerhalb der Schweiz bliebe der Futterkauf aber durchaus möglich. Vor allem dieses Argument hat zur Ablehnung der Bio Suisse beigetragen. Wir brauchen eine ausgeglichene Dünger-Hofbilanz, das heisst ein Gleichgewicht zwischen der Anzahl Tiere und Fläche. Nur so kann der Boden seine so entscheidenden Beiträge an den Klimaschutz und die Trinkwasserqualität leisten. Dies ist einer der Grundpfeiler der biologischen Landwirtschaft!» (Martin Ott)
  • «Bei einer Annahme der TWI werden die Bio-Richtlinien noch verschärft, beispielsweise durch das Verbot des Futterzukaufs. Ausserdem ist davon auszugehen, dass die Sensibilität der Bevölkerung weiter ansteigt und Kupfer und Schwefel künftig auch im Biolandbau nicht mehr eingesetzt werden dürfen.» (Ferdi Hodel)

Die Kritiker*innen der Initiative(n) argumentieren, dass bei einer Annahme der Nahrungsmittelimport zunehmen würde. Was sagen die Befürworter*innen hierzu?

  • «Die landwirtschaftlichen Erträge in der Schweiz würden sicher nicht so stark zurückgehen, wie von den Gegner*innen postuliert. Die PI lässt überdies zu, dass die Übergangsfrist von zehn Jahren für besonders sensitive Kulturen verlängert werden kann. Viel wichtiger ist es, dass die Problematik des Foodwaste endlich angegangen wird: Die absurd hohen äusseren Qualitätsanforderungen an die Produkte müssen gelockert werden.» (Patricia Mariani)
  • «Momentan wird viel Gülle importiert, in jedem importierten Futtersack steckt ein halber Düngersack. Dies ist aufgrund des Stickstoffüberschusses (rund 100’000 Tonnen zu viel pro Jahr in der Schweiz) ein viel grösseres Problem als ein möglicher Anstieg der Nahrungsmittelimporte. Ausserdem folgen die Schweizer Grenzen keiner ökologischen Logik. Es ist bereits jetzt unmöglich, die Schweizer Bevölkerung ausschliesslich mit inländischen Produkten zu versorgen.» (Martin Ott)

Gibt es aus Sicht Herrn Hodels trotz Ablehnung beider Initiativen Handlungsbedarf betreffend Trinkwasserqualität und Biodiversität? Falls ja, welchen?

  • «Die gesellschaftliche Sensibilität hinsichtlich landwirtschaftlicher Themen hat sich in den letzten Jahren stark verändert, von daher gibt es einen Handlungsbedarf in der Landwirtschaft. Wir brauchen bezüglich der Biodiversität andere, neue Modelle. Die beiden Aspekte Produktivität und Biodiversität sollen nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden. Im Kanton Zürich läuft aktuell ein Ressourcenprojekt, in dem den Bäuerinnen und Bauern mehr Ziele vorgegeben werden, diese aber gleichzeitig mehr Eigenkompetenzen erhalten.  Wir brauchen weniger Vorschriften der Verwaltung.» (Ferdi Hodel)

Was hätte im politischen Prozess der TWI-Initiative anders gemacht werden müssen, um mehr Rückhalt aus der Landwirtschaft zu erhalten?

  • «Die etablierte Landwirtschaftspolitikszene hat die Kraft der TWI lange nicht richtig eingeschätzt. Die Initiative wurde darum vor der Einreichung nie zu Ende diskutiert. Bezüglich des Interpretationsspielraums der Initiativtexte: Die ursprüngliche Absicht der Initiant*innen ist wichtig. Deshalb ist es auch nicht falsch, wenn die Initiant*innen jetzt erklären, was nicht gemeint ist. Zudem geht ein neuer Verfassungsartikel mit einem parlamentarischen Prozess einher, wobei kritische Aspekte berücksichtigt werden. Verfassungstexte lassen immer Raum für Interpretationen offen, für detaillierte und justiziable Formulierungen gibt es Gesetze und Verordnungen.» (Bernadette Oehen)
  • «Bei jedem öffentlichen Auftritt zur TWI wurde ein ganzer Berufsstand verunglimpft. Die Vorwürfe an Bauernfamilien waren teilweise unhaltbar und lassen sich kaum zurücknehmen. Dadurch bildeten sich diese Fronten. Eine vorsichtigere Tonalität vonseiten der Initiant*innen wäre besser gewesen.» (Ferdi Hodel)
  • «Der Druck ist auch umgekehrt sehr gross: Viele Bäuer*innen, die sich für eine oder beide Initiativen aussprechen, werden von Berufskolleg*innen oder in der Nachbarschaft beleidigt oder gar bedroht. Diese Verhärtung der Fronten ist sehr bedauerlich. Ein griffiger Gegenvorschlag für beide Initiativen wäre aus Sicht der Kleinbauern-Vereinigung wünschenswert gewesen.» (Patricia Mariani)
  • «Trotz meiner klaren und öffentlichen Positionierung für die TWI wurde ich noch nie angefeindet. Dank der TWI soll es keine biodiversitätsschädigenden Direktzahlungen mehr geben. Den Landwirt*innen muss man klare Signale geben, was langfristig möglich ist und was nicht. Die Vorgaben der Initiativen orientieren sich an der Ökologie des Planeten (Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität als nachhaltiges Projekt der Landwirtschaft). Von daher sind die Initiativen wichtig: Die Weichen für die nächsten Jahrzehnte werden gestellt und somit innovative Lösungen ermöglicht. Diese Klarheit brauchen die Landwirtschaft und ihre Interessenvertreter*innen.» (Martin Ott)

Wie können Konsument*innen bereits jetzt durch ihre Kaufentscheidungen eine Reduktion der Pestizid-Nutzung fördern?

  • «Wer keine Pestizidrückstände und eine alternative Landwirtschaft möchte, muss auch zu den entsprechenden Produkten (z.B. Bio oder Demeter) im Regal greifen. Diejenigen Personen, die an der Nahrungsmittelproduktion interessiert sind, finden auch Wege, um zu guten Nahrungsmitteln zu kommen.» (Bernadette Oehen)
  • «Die Preispolitik und die Verfügbarkeit der Produkte spielen eine entscheidende Rolle. Momentan werden billige Nahrungsmittel durch höhere Margen für biologische Produkte querfinanziert. Wenn die Konsument*innen eine grössere Auswahl hätten, würden sie auch vermehrt zu biologischen Produkten greifen. Dieser Aspekt kommt vor allem bei der Auswärtsverpflegung zum Tragen. Ausserdem stellt sich die politische Frage, ob nur die Konsumentin bzw. der Konsument dafür zuständig ist, an der Ladentheke für eine nachhaltige Landwirtschaft zu sorgen.» (Patricia Mariani)
  • «In dem Moment, in dem Sie ins Regal greifen, geben Sie eine Bestellung auf. Darum geht es aktuell aber nicht. Die Landwirtschaft in der Schweiz kann von drei Gruppen beeinflusst werden: den Produzent*innen, den Konsument*innen sowie der Stimmbevölkerung. Diese sollten wir nicht gegeneinander ausspielen. Hier geht es darum, wie die Landwirtschaftspolitik in Zukunft ausgestaltet wird. Auch die landwirtschaftliche Forschung müsste auf diese neue Landwirtschaftspolitik ausgerichtet werden, denn der Bio-Landbau ist noch nicht zu Ende erfunden.» (Martin Ott)
  • «Aus meiner Sicht gibt es nicht drei, sondern zwei Gruppen. Konsument*innen und Stimmbürger*innen sollten übereinstimmen, ansonsten können wir unsere Landwirtschaftspolitik nicht voranbringen.» (Ferdi Hodel)

Über den FoodTalk
Nachhaltige Lebensmittel sind dir wichtig, doch beim Griff ins Kaufregal fällt es dir noch schwer, die richtige Wahl zu treffen? Die vielen Labels, Begriffe und Diskussionen verwirren dich mehr, als dass sie helfen? Bei der FoodTalk Event-Serie beantworten dir ausgewählte Expert*innen im Bereich Nachhaltigkeit und Lebensmittel deine Fragen! Der Austausch wird organisiert vom Ernährungsforum Zürich, Crowd Container, Slow Food Zürich Stadt und KernGrün.

Benjamin Krähenmann

Der Umweltingenieur hält Ausschau nach Projekten mit positivem Impact auf Mensch und Umwelt. Über neue Köstlichkeiten für das Crowd Container Sortiment denkt er am liebsten auf einer Velotour oder beim Brot backen nach.

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