Impressions from the Food Forest

June 24, 2022 | von Alfred Fritschi
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Langfristiges Anlegen eines «Food Forest» als neues agrarökologisches Modell, Arbeiten im Kooperativverband, didaktische Anlässe mit Schüler*innen, Kulturinitiativen im ländlichen Kontext… all dies in einem Umfeld vieler wirtschaftlicher Schwierigkeiten, Disneyland-Sizilien, lähmender Behördenbürokratie, Mafia und sengender Hitze. In diesem Spannungsbogen kreisten unsere Eindrücke bei einem zweitägigen Besuch im Alltag von NOE.

Über die Kooperative NOE – No Emarginazione
Die Kooperative NOE – No Emarginazione („keine Ausgrenzung“) – hat sich vor gut 20 Jahren gebildet. NOE versteht sich als Sozialkooperative und Bildungsgemeinschaft, die integrierte soziale und ökonomische Entwicklungsmodelle umsetzen will.  NOE ist aktiv in der Gemeinde Partinico, im Nordwesten der Insel, auf einem Hofgut, das der Staat Ende der 1980er-Jahre von einem Mafiaclan enteignet und dann in Pacht neu vergeben hat. NOE produziert diverse zertifizierte Bio-Lebensmittel. Der «Food Forest», das heisst der Aufbau eines Mischwaldes aus Fruchtbäumen, insbesondere auch als Antwort auf die drohende Desertifikation, ist zurzeit das bedeutendste agrarökologische Projekt. Unterstützung erhält NOE dabei von befreundeten Fachleuten der Universität Palermo oder von etablierten, starken Kooperativen wie Valdibella. Gesponsert wird das Projekt auch durch ein substantielles Crowdfunding, das Crowd Container in der Schweiz durchgeführt hat. Unser Kurzbesuch fand in diesem Zusammenhang statt.

Diskussionen im schattenspendenden Maulbeerbaumes
Beim Eintreffen auf dem Hof der Sozialkooperative NOE werden wir sogleich in die Gesprächsrunde unter dem riesigen Maulbeerbaum eingeladen. Vor allem am Mittag und Nachmittag, wenn die Sonne unerbittlich brennt, bietet das grosse Blätterdach einen rettenden Versammlungs- und Erholungsraum. In der Runde diskutieren bereits angeregt Mitglieder von NOE, Besucher:innen der befreundeten Kooperative Valdibella, eine Vertreterin der italienischen Fairtrade Organisation altromercato und auch eine Vertreterin der Zürcher Kooperative grassrooted. Sie alle sind Fachleute aus den Bereichen Agrar- und Forstkultur, Bio-Lebensmittelproduktion, Foodverarbeitung und -vertrieb. Rege springt der Themenfokus von Fragen der Bewässerung zur Auswahl von geeigneten Baumsorten, Pro- und Contra der Avocado Produktion, Ökobilanz bei Fruchtimporten aus dem globalen Süden, Plastikflut und Widersprüchlichkeiten beim Verzicht auf Verpackungen. Ninni, einer der Agroforstfachleute von NOE, erzählt wie die Kooperative kürzlich eine Busse von 600 Euro wegen fehlender behördlicher Genehmigung für den Anbau alter Getreidesorten bezahlen musste. Auf die Empörung der Schweizer Gäste über sizilianische Zustände gibt er sogleich kritisch zurück: «Ja schon, doch die grossen Firmen wie Nestlé und andere mit ihren Patenten sind doch einfach wie eine andere Mafia!»

Geduld ist gefragt: Sowohl mit dem Wachstum der Bäume…
Bei der Feldbegehung mit dem NOE-Koordinator Gaspare auf dem fünf Hektaren grossen Gelände und während wir bei anstehenden Hofarbeiten Hand anlegen, können wir die schwierigen Bedingungen, unter denen NOE für neue Entwicklungen einsteht, direkter erahnen. Der «Food Forest» besteht erst aus noch kleinen Setzlingen, die tägliche Bewässerung und viel Pflege benötigen. Bis sie zu einem Wald mit vermarktbaren Fruchterträgen heranwachsen, werden noch einige Jahre Geduld nötig sein. Da sind Nachbar*innen von NOE auf ein wohl rentableres Businessmodell eingestiegen: Im selben Weiler Parrini haben sie leerstehende Bauernhäuser im Disneylandstil geschmückt und zu Restaurants sowie Souvenirläden umfunktioniert, was ihnen an den Wochenenden angeblich grossen Zulauf von Tourist*innen beschert.  

…als auch (leider) mit den lokalen Behörden
NOE kann nur einzelnen Personen einen Lohn bezahlen. Vieles wird in Freiwilligeneinsatz geleistet. Dank dem Food Forest Projekt konnte NOE nebst den Baumsetzlingen einige kleinere landwirtschaftliche Maschinen kaufen, einen Kühlcontainer aufstellen und ein Teichsystem anlegen. Die weitere Ausstattung und integrale Nutzung dieser Anlagen stehen jedoch noch an.  NOE setzt auf langfristige Entwicklung und muss gleichzeitig mit grossen Unsicherheiten umgehen. So ist etwa die Kataster-Registrierung des Hofgebäudes und weiterer dazugehörender, verfallender Bauten immer noch nicht geklärt, trotz seit Jahren laufender Verhandlungsbemühungen mit den Behörden. Ob wohl in Partinico weiterhin Mafiakreise aktiv sind? Darüber spricht man nicht mit Besucher*innen. Die kürzliche Wahl eines neuen Bürgermeisters von Palermo, der öffentlich Unterstützung von notorisch mafianahen Kreisen erhielt, wird aber auch bei NOE mit Besorgnis registriert.  

Zuversicht dank vielfältiger Kooperationen
«Selbst wenn wir einmal die Pacht abgeben müssten, von unserer Arbeit wird jedenfalls etwas bleiben. Wir haben mehr als tausend Bäume gepflanzt, die zu einem prächtigen Food Forest heranwachsen werden.» So kommentiert Carla, Agronomin bei NOE, stoisch die Unsicherheiten für das Projekt. Feste Überzeugungen und die vielfältigen Kontakte mit anderen sozialen und agrarökologischen Initiativen, mit Fachleuten und Freund*innen in Sizilien, auf dem italienischen Festland und bis in globale Netzwerke scheinen eine Kraftquelle, die den Mitgliedern von NOE erlaubt, den steinigen Boden in Partinico weiter zu bearbeiten.

Grazie per l’accoglienza amichevole alla cooperativa NOE!

Alfred Fritschi

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