Alles ist verbunden

11. November 2021 | von Nicolas Fojtu
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Einer der wichtigsten Ansprüche, die Crowd Container hat, ist die Transparenz. Wir müssen verstehen, wie die von uns angebotenen Lebensmittel produziert werden. Nur so ist es möglich, die Wertschätzung einer ökologisch sinnvollen Landwirtschaft zu fördern. Doch das ist gar nicht so einfach. So sind die Höfe und Flächen der uns nahen Produzent*innen oft Teil eines ganzheitlich betrachteten Systems. Je mehr dieses System von einer Mainstream-Landwirtschaft abweicht, umso mehr muss mit eigenen Erfindungen, Gerätschaften und Abläufen experimentiert werden. Cäsar und Lena Bürgi vom Hof Silberdistel zähle ich da sehr gerne mit dazu. Um ihre Landwirtschaft und Philosophie wirklich zu verstehen, muss man dort gewesen sein.

Kalkiger Fels und bewaldete Hügel: Unser diesjähriger Teamausflug führt die Crowd-Container-Crew in den Solothurner Jura. Ganz hinten in der Gemeinde Holderbank, wenige Höhenmeter unterhalb vom Jura-Höhenweg, treffen wir Cäsar Bürgi und seine Tiere. Schon seit bald zwei Jahren bieten wir ihre Produkte wie z.B. die über zwei Tage eingekochte Knochenbrühe, den luftgetrockneten und über drei Jahre abgehangenen «Jambon Jurassienne» oder das Rinderfett in unseren Schweizer Sammelbestellungen an. «Fett für den Weltfrieden» steht auf letzterem geschrieben und lässt erahnen, dass es Cäsar um mehr geht als nur darum, gute Produkte zu produzieren. 

Ein fahrbares Gemüsetunnel rechts, ein mobiler Hühnerstall im Hintergrund und ein Ersatzteil vom «Sau Karawan»: Dies sind integrale Bestandteile eines ausgeklügelten Weidekonzepts und die Manifestation von Cäsars Philosophie: «Alles ist verbunden».

Alles ist verbunden

«Alles ist miteinander verbunden. Es gibt nicht einfach nur den Boden oder die Pflanzen oder die Tiere oder den Menschen. Es ist ein Organismus», erklärt uns der 42-Jährige vor seinem Hühnerstall auf Rädern. Auf dem Silberdistel-Hof ist alles in Bewegung und viele Hofkreisläufe sind geschlossen. Dabei hört Cäsar mehr auf sein Gefühl und seine Erfahrungen, als auf Ratschläge anderer oder wissenschaftliche Studien. Er hält nicht viel von Verboten, Bestimmungen und genauen Vorgaben wie zum Beispiel Schnitt-Terminen. «Ich bin äusserst beratungsresistent», sagt er mit einem Schmunzeln. Viel mehr hat Cäsar gelernt, auf sich selbst zu hören. Seine Sinne zu nutzen. Zu beobachten und zu verstehen versuchen. «Ich kann bei vielen Dingen nicht sagen, wieso sie so sind, wie sie sind – weiss aber, dass die so sind, und das reicht mir.» Und damit spricht er auch sein ausgeklügeltes Weidekonzept an, das nie still steht, sondern bei dem sich die Tiere, das Gemüse und auch die Landschaft immer im Wandel befinden.

Den mobilen Gemüsetunnel hat Cäsar selbst entworfen und gebaut. Die Anbauflächen können so schneller auf dem Hofgebiet rotieren. Das fördert den Kreislauf von Tierfutter, Nährstoffzufuhr durch Dung, Bodenbearbeitung durch die Tiere und den Gemüseanbau für die Familie.

Rund 40 Hektare Land gehören mit zum Hof, auf dem neben sechzig Angus Rindern auch das selbst gezüchtete «Bunte Distelschwein», Ziegen, Hasen und Hühner leben. Dabei gilt es zu verstehen, dass jedes Tier seine ganz eigenen Bedürfnisse und auch seine Funktion auf dem Hof hat. Die Sauen zum Beispiel leben in einem fahrbaren Stall, den Cäsar selber entworfen hat: «Sau Karawan» nennt er seine Erfindung, die er in rund drei Wochen in Eigenregie zusammen mit helfenden Händen gebaut hat. Die «Sau Karawan» ermöglicht es, die Tiere wesensgerechter zu halten und in einen Weidezyklus zu integrieren. Weidende Sauen, wo gibt’s denn sowas!? Seine Erfindung stellt Cäser zudem allen zur Verfügung, die sie nachbauen möchten – ohne Lizenzgebühren oder Patentrechte, so etwas entspräche gar nicht Cäsars Einstellung. «Wer sich das anschauen möchte, der darf gerne vorbeikommen. Ich zeige ihm oder ihr alles. Aber dann muss jeder selbst entscheiden, was er davon hält.» Der Wunsch nach Selbstbestimmung ist auf allen Ebenen spürbar, auch in der Tierhaltung.

Der Umgang mit den Tieren erfordert viel Feingefühl und den nötigen Respekt.

Streicheln unerwünscht

Um die Rinder kümmert sich vor allem Cäsars Frau, Lena. Zu unserer Überraschung erklärt uns Cäsar im grossen Laufstall, dass wir die kräftigen Tiere nicht streicheln sollen: «Das mögen wir ja auch nicht, wenn jemand in den Bus kommt und uns am Kopf anfasst. Den gleichen Respekt sollten wir auch den Tieren zollen.» Im Umgang mit den Tieren versuchen Cäsar und Lena immer, so wenig Stress wie möglich zu provozieren. Sie vertrauen dabei auf einen achtsamen, respektvollen und ruhigen Umgang mit den Tieren, der sogenannten Low-Stress-Stockmanship-Methode (LSS). Diese Methode versuchen sie von der Geburt bis zum letzten Augenblick im Tierleben anzuwenden. Den für die Tiere so schlimmen Transport in ein Schlachthaus haben sie abgeschafft. «Das war eine Riesenbelastung für uns und die Tiere.» Seit nun drei Jahren schlachten sie ihre Rinder selber auf dem Hof. Und dennoch ist damit für beide das Thema Schlachten nicht einfach abgeschlossen. Sie sind sehr offen, darüber zu sprechen und haben auf ihrem Hof auch einen Raum geschaffen, wo Begegnungen für vertiefte Gespräche zu Tierhaltung und Anbau stattfinden können. 

Zwei Muttersäue der selbst gezüchteten Rasse «Buntes Distelschwein»: Sie sind robuster als die normalen rosa Schweine, auch weil sie wieder eine angemessene Fettschicht haben, was den konventionellen Schweinen auf Wunsch des Detailhandels weggezüchtet wurde.

Zuerst das Ei, dann das Huhn.

Nach dem Hofrundgang sitzen wir an grossen, alten Holztischen in dem zum Begegnungsraum stilvoll ausgebauten Dachstock. Hier sucht Cäsar den Dialog, genauso wie wir. Ein spannender Baustein von Cäsars Werk, der seinen Anspruch auf ganzheitliches Denken und Handeln widerspiegelt, wie ich finde. «Ich habe grosses Verständnis für Vegetarier und Veganer. Doch sollen sich diese auch bewusst sein, was das für Konsequenzen mit sich bringt. Der Detailhandel müsste da, so wie ihr es macht, viel mehr aufklären und den Kund*innen auch vermitteln: Wenn du Eier bei mir kaufst und isst, dann solltest du ebenso einmal im Jahr ein Suppenhuhn essen. Das nächste Jahr dann den Bruder der Henne und das wars dann auch. Mehr dieser Vögel musst du nicht essen.» Leuchtet ein, oder? Und auf die Frage nach der Umstellung auf vegane Ernährung meint Cäsar: «Das würde für uns und ganz viele Höfe in solch exponierten Lagen einfach das Aus bedeuten. Das ganze Grasland, das sich aufgrund der Hanglagen nicht für den Ackerbau eignet, könnte nicht mehr zur Lebensmittelherstellung genutzt werden. Wir müssten also den Ackerbau im Mittelland massiv intensivieren und zusätzlich auf Importe setzen. Das müssen sich die Veganer einfach bewusst sein.»

Diskutieren erwünscht: Cäsar strebt einen ehrlichen und respektvollen Austausch an und nimmt dabei auch kein Blatt vor den Mund.

Und genau da liegt wahrscheinlich der Hase im Pfeffer. Leider ist unsere Zeit auf dem Silberdistel-Hof genau jetzt, wo das spannende Thema zum Austausch zwischen Produzent*innen und Konsument*innen aufkommt, schon wieder vorbei. Wir gehen darin einig, dass wir von Crowd Container genau wie Cäsar weiterhin offen und respektvoll darüber diskutieren wollen, wie eine ganzheitliche Landwirtschaft für Boden, Klima, Tiere, Pflanzen und für die Menschen aussehen soll. Nur wenn wir uns als Gesellschaft näher kommen und versuchen, die Realität des Gegenübers zu verstehen, kann gegenseitiges Verständnis entstehen. Und wer’s nicht glaubt, soll mal am Abend in die Sterne schauen und sich überlegen, wie die Sonne es schafft, alle ihre Planeten um sich kreisen zu lassen. Alles ist verbunden.

Silberdistel-Produkte

Lena und Cäsar Bürgi vermarkten alle Produkte grundsätzlich in Eigenregie. Wir sind deshalb besonders stolz, in unserer Schweizer Sammelbestellung die folgenden Produkte anbieten zu dürfen.

Nicolas Fojtu

Bereist Sizilien auf der Suche nach dem besten Olivenöl und erzählt die Geschichten der ProduzentInnen mit der gleichen Leidenschaft, wie er sein eigenes Brot bäckt.

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Ruth Thommen am 13. November 2021 um 11:26

    ………….einfach wieder eine wundervolle Geschichte! Entspricht in allem meinen Vorstellungen!
    Ich habe das Glück am Heinzenberg in Graubünden zu leben! Auf der gegenüberliegenden Seite des Tales liegt der Hof Dusch, gepachtet von Georg und Claudia
    Das wird für euch nicht unbekannt sein, bietet ihr doch auch von ihnen so feines, ehrliches, gesundes Essen an.
    Ich bin glücklich!

    • Veröffentlicht von Nicolas Fojtu am 13. November 2021 um 19:25

      Hallo Ruth. Ja genau, den Biohof Dusch, und Georges und Claudia kennen wir – und ihre Produkte! Wir dürfen immer wieder Produkte aus ihrem Anbau in unserern Sammelbestellung anbieten: aktuell ist das Pasta und Mehl aus Emmer, Rapsöl und Pizzoccheri. Ich danke vielmals für deine Blumen und sende Grüsse zum Heinzerberg!

      Nicolas

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