Essbare Stadt – Utopie oder Notwendigkeit?

06. Mai 2023 | von Dubravka Vrdoljak
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Sind Städte die Treiberinnen für eine nachhaltige Ernährung? Wie hoch ist der Selbstversorgungsgrad von Städten? Welche Ziele setzt sich die Stadt Basel und welche Technologien können helfen, um den Ressourcenverbrauch von Ernährung und Wasser zu senken?

Am fünften FoodTalk Basel diskutierten im Foyer Public des Theaters Basel während der Open House Days Lukas Ott (Stadtentwicklung BS), Dr. Philipp Urech (ETHZ) und Dr. Christophe Carlen (Agroscope), wie Ernährung das Stadtbild der Zukunft beeinflussen könnte. Michèle Christen und Adrianna Anna Mikos von der Berner Fachhochschule präsentierten ihr Projekt zum Thema «Autarkie als architektonische und gesellschaftliche Chance». Durch den Nachmittag führte Moderator Markus Hurschler (Foodways).

Ernährungslandschaft: Eine Existenzgrundlage

Permakultur, Aquaponik und Vertical Farming – Bepflanzung in der Stadt braucht andere Ansätze als auf dem Land. Da im urbanen Kontext Flächen fehlen, spielt die Vertikale eine Rolle: Mit dem Anbau in die Höhe können die verfügbaren Flächen verdichtet bebaut werden. Adrianna und Michèle zeigten, wie Gebäude aufgestockt, Dachflächen mit Sonnenkollektoren und Regenauffangbecken ausgestattet und öffentliche Plätze für Gemeinschaftsgärten verwendet werden könnten. Selbstversorgung bedeutet auch mehr Kühlung, eine Steigerung der Biodiversität und bessere Lebensqualität. Besonders geeignete Kulturen für die Stadt wären Obst, Gemüse und Beeren, wohingegen flächenintensive Grundnahrungsmittel wie Getreide oder stärkehaltige Lebensmittel weiterhin auf dem Land angebaut werden müssten.

Philipp Urech kennt die urbane Landwirtschaft aus Madagaskar. 40% der Lebensmittel kommen dort aus der unmittelbaren Umgebung. Im Unterschied zur Schweiz ist die Bevölkerung von Madagaskar stark abhängig von der urbanen Lebensmittelproduktion. Madagassische Städte wachsen entlang der grossen Strassenachsen. Der Raum dazwischen fasst oftmals weiterhin rurale Flächen. Diese kommen durch das Wachstum der Städte allerdings unter Druck. Madagassische Bäuer:innen bilden darum Koalitionen, um ihre Flächen gegen die Grossaktionär:innen zu verteidigen, damit die Bodenflächen nicht aufgeschüttet und umgenutzt werden. In der Schweiz sind dagegen Subventionen das politische Mittel der Wahl, um eine essbare Stadt ermöglichen zu können.

Warum sind Städte Treiberinnen für ein nachhaltiges Ernährungssystem?

Auch wenn Autarkie ein hochangesetztes Ziel bleibt: Städte könnten immerhin einen Selbstversorgungsgrad von 50-60% erreichen und damit einen wertvollen Beitrag zur Landwirtschaft leisten. Neben urbaner Landwirtschaft beeinflussen Städte unser Ernährungssystem aber vor allem über den Konsum, erläutert Christophe Carlen von Agroscope. Viele Konsument:innen befinden sich im urbanen Umfeld, ihre Kaufentscheidungen beeinflussen entsprechend die landwirtschaftliche Produktion. Einen grossen Hebel bspw. gibt es beim Fleischkonsum: Die Ineffizienz der Fleischindustrie beansprucht deutlich mehr Ressourcen und intensiviert die landwirtschaftlichen Flächen. Wird weniger Fleisch in den urbanen Zentren gegessen, können diese Flächen für andere Nahrungsmittel genutzt werden, wie den Anbau pflanzlicher Proteine.

Bei Vertical Farming wird von einem Anbausystem mit mehreren Schichten (7-20 Schichten) gesprochen. Zwischen jeder Schicht braucht es Licht: LED-Licht, das im Vergleich zu herkömmlichen Licht weniger energieintensiv ist. Die Pflanzen wachsen in Wasser mit Nährstofflösungen anstelle von Erde und brauchen deshalb kaum Pestizide, dafür viel Dünger. Eine weitere Eigenheit des Vertical Farming ist die Robotisierung. Säen, pflegen, ernten und abpacken kann alles im Standardverfahren ohne menschlichen Einsatz ausgeführt werden. Das bedeutet 100x mehr Salate auf einem Quadratmeter als auf dem Feld.

Trotzdem bleibt das gesamte System sehr energieintensiv. Energie ist der grösste Kostentreiber und macht etwa die Hälfte aller Ausgaben aus. In einem idealen System könnte die Abwärme der LED für Wohnungen und Heizungen gebraucht werden.

Die Schichtung macht die Vertikale für Städte interessanter als Gewächshäuser aufgrund der Flächeneinsparung. Ein Problem bleibt jedoch die Rentabilität. Denn nur für Frischprodukte wie Kräuter, Salate und „Babyleaves“ ist dieses System rentabel, nicht für Lagergemüse.

Wohin geht es mit der Stadt Basel?

Um den Fussabdruck der Ernährung zu reduzieren braucht es ressourcenschonende Konzepte, erklärt Lukas Ott. Die Stadt Basel fördert systemisches und regionales Denken, wie z.B. die Schaffung regionale Schlachtbetriebe, Kräutertrocknungsanlagen, in-house Fischproduktionen etc. mit Investitionshilfen. Die Logistik soll ausgebaut werden und Wertschöpfungsketten mitgedacht werden, wie beim Thema Energie. Lukas Ott: «Wenn wir nicht wollen, dass Öl eine strategische Waffe ist, müssen wir dezentraler werden. Das gleiche gilt für Lebensmittel.»

Um den Fussabdruck der Ernährung zu reduzieren braucht es ressourcenschonende Konzepte, erklärt Lukas Ott. Die Stadt fördert systemisches und regionales Denken, wie z.B. die Schaffung regionale Schlachtbetriebe, Kräutertrocknungsanlagen, in-house Fischproduktionen etc. mit Investitionshilfen. Die Logistik soll ausgebaut werden und Wertschöpfungsketten mitgedacht werden, wie damals beim Thema Energie. Lukas Ott: „Wenn wir nicht wollen, dass Öl eine strategische Waffe ist, müssen wir dezentraler werden. Das gleiche gilt für Lebensmittel.“

Dubravka Vrdoljak

Dubravka (Dubi) Vrdoljak ist Lebensmittelwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit nachhaltigen Ernährungsgewohnheiten. Sie ist Mitglied des Ernährungsforums Basel und leitet das Projekt «Dialog im Quartier» des Zurich-Basel Plant Science Center, ETH Zürich.

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