Food Forest 2.0?

«Für mich ist ökologische Ethik wichtiger als die menschliche Ethik.» Mit diesen provokativen Worten empfing mich Matteo, einer der Pioniere der regenerativen Landwirtschaft in Norditalien, kurz nach meiner Ankunft auf seiner kleinen Farm am Lago Iseo. Der Rest des gemeinsamen Mittagessens war dann geprägt von philosophischen Diskussionen über Stadt und Land, Mensch und Tier, Anbau und Ernährung. Trotz unterschiedlicher Standpunkte, waren wir uns einig: Ohne Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge sind alle menschlichen Anstrengungen früher oder später zum Scheitern verurteilt.

Mit grossen Blättern gegen den Hagel
Für Paola und Matteo ist sie wichtig, die philosophische Dimension. Alles was sie Tun auf ihren 6 Hektaren Land am steilen Hang über dem See ist vielschichtig – im wahrsten Sinn des Wortes. Nachdem ich den Hof über den kleinen Weg erreicht hatte, fielen mir als erstes die grossen Blätter der Paulownia-Bäume auf. Sie wachsen schnell und bilden ein dichtes Blätterdach. Warum habt ihr genau diese Bäume ausgewählt, um darunter Salat, Fenchel und Broccoli zu pflanzen, frage ich Matteo. Er erklärt mir, dass die Bäume mehrere Funktionen haben: Die Blätter treiben erst spät im Sommer aus, wenn der Schatten willkommen ist. In dieser Jahreszeit sollen sie das Gemüse zukünftig auch vor den immer häufigeren Hagelstürmen schützen. Und in wenigen Jahren werden sie ein stabiles Holz liefern, das sich zum Bau von verschiedenen Strukturen auf dem Hof eignet.

Gemüse ist erst der Anfang
Die Paulownia Bäume kommen von weit her und wurden so gezüchtet, dass sie sich nicht fortpflanzen können, damit sie nicht zu einer invasiven Spezies werden können. Wenn sie einmal als Bauholz auf dem Hof enden, haben sie ihren Zweck erfüllt. Doch was passiert dann, frage ich Matteo. «Bis dahin sind sie Obstbäume hoch genug um Schatten zu spenden. Und Gemüse werden wir dann kaum noch anbauen.» Das Anbausystem ist nicht nur räumlich mehrschichtig sondern entwickelt sich auch über die Zeit. «Die meisten Gemüsesorten sind Pionierpflanzen, welche uns beim Aufbau des Systems helfen. Ausserdem verschaffen sie uns in diesen ersten Jahren ein Einkommen.» Schritt für Schritt werden jedoch Tiere und mehrjährige Pflanzen das Gemüse ersetzen. Ziel ist ein silvopastorales System – also eine Kombination aus Forst und Weideland.

Von Schafen, Eseln und Hühnern
In diesem nächsten Schritt düngen Tiere den Boden und die Pflanzen produzieren Nahrung für Mensch und Tier. Aktuell halten Paola und Matteo bereits einige Schafe, Esel und Hühner. Die Wahl der Tiere ist kein Zufall: Sie ergänzen sich perfekt beim Weiden und nutzen so die artenreichen Wiesen zwischen den Baumreihen. Zuerst grasen die Schafe die proteinreichsten Pflanzen ab, danach kommen die genügsamen Esel auf die Weide und tun sich an Stängeln und zähen Gräsern gütlich und zu guter Letzt räumen die Hühner auf, was übrig geblieben ist. Zurück bleibt ein gut gedüngter Boden, aus dem schon bald wieder saftiges Gras spriessen kann. Um eine Überweidung zu verhindern, grasen die Tiere auf kleinen, eingezäunten Flächen. Paula und Matteo verschieben mehrmals täglich die Zäune. So kann sich das Gras erholen und die Tiere bekommen stets von neuem einen vielfältigen Mix an frischem Futter. In Zukunft könnte dies sogar ohne Zäune gelingen: Bereits gibt es Halsbänder, die über eine App gesteuert den Tieren mit Tonsignalen die Grenze der Weide anzeigen. Doch noch sei diese Technologie zu ungenau für sein kleinräumiges System, sagt mir Matteo.

Mit Hightech zurück in die Steinzeit
Mit der Evolution des Anbausystems verändert sich auch der Fokus der Vermarktung und, in letzter Konsequenz, die Ernährung. Zurzeit betreiben Paula und Matteo ein klassisches Gemüse-Abo System. Sie investieren viel Zeit in den Aufbau einer lokalen Community, die den Hof kennt und seine Produkte schätzt. Fast alles wird im Umkreis von 10 Kilometern vermarktet. Je produktiver der Hof wird und je mehr verarbeitete Produkte hergestellt werden, desto weiter wird jedoch der Radius: «Wir sind hier nur 30 Kilometer von der Stadt Brescia mit über 200’000 Einwohner*innen entfernt.» In Zukunft wollen Paola und Matteo auch Fische und Pilze für Konsument*innen aus dem urbanen Raum züchten. Matteo führt mich zu einer Baustelle, wo gerade eine sogenannte Aquaponik-Anlage entsteht. Hier entsteht ein zusätzlicher Kreislauf, in dem Pflanzen das Wasser für die Fische filtern und Fische wiederum das Wasser für die Pflanzen düngen. Das Regenwasser wird am steilen Hang aufgefangen und ein Teil der produzierten Biomasse, wird wiederum zur Düngung der Bäume und Wiesen eingesetzt. Die hohe Produktivität auf kleinstem Raum und auf mehreren Ebenen soll uns eine vielfältigere und proteinreichere Ernährung ermöglichen. Näher an dem, was unsere Vorfahren als Jäger und Sammler gegessen haben. Dabei können auch Technologien, wie Aquaponik und vertical Farming helfen – solange sie die Grenzen unserer Ökosysteme respektieren.

Und Crowd Container?
Was für eine Rolle soll Crowd Container bei alldem spielen? Aktuell noch gar keine. Denn die Gemüseabos von Paola und Matteo sind komplett ausgebucht. Doch während die Farm von Paola und Matteo sich weiterentwickelt, entstehen in der ganzen Region weitere Höfe, die dank innovativer Landwirtschaft gesunde Lebensmittel produzieren und dabei die Böden und ganze Landschaften regenerieren. Und wenn die Zeit reif ist, dürfen wir vielleicht ein paar dieser wundervollen Lebensmittel zu euch bringen.

Spannender Bericht Danke
Ralf