Indiens Fair Trade Moment

21. April 2021 | von Benjamin Krähenmann
FTAK_Protest

Bereits seit 120 Tagen protestieren indische Bäuerinnen und Bauern gegen drei neue Agrargesetze in Indien. Laut Tomy Mathew von unseren Partner*innen der Fair Trade Alliance Kerala (FTAK) sind die Produzent*innen bereit, ihre Proteste gar bis zum Ende der Amtszeit der Regierung im Jahr 2024 fortzusetzen. Warum protestieren die Bäuerinnen und Bauern so vehement gegen die Agrarreform der indischen Regierung? Was hat Crowd Container mit diesem Thema zu tun? Wir hatten die Gelegenheit, diese Fragen mit Tomy Mathew von der FTAK zu diskutieren.

Organisation und Zusammenschluss der indischen Landwirt*innen
Tomy stellt fest, dass die Proteste der Produzent*innen in der Geschichte Indiens einzigartig sind: Zum ersten Mal sind die protestierenden Bäuerinnen und Bauern auf einen langen Zeitraum vorbereitet. Sie organisieren sich und wechseln sich am Protestort ab, sodass Widerstand und Landwirtschaft gemeinsam stattfinden können. Ausserdem ist die schiere Anzahl der Protestierenden erstaunlich: Die Proteststätten an den Grenzen der Hauptstadt Delhi sind bis zu 15 Kilometer lang. In den verschiedenen Regionen versammeln sich Zehntausende von Landwirt*innen, um ihre Kolleg*innen an den Grenzen von Delhi zu unterstützen. Die Proteste der Bäuerinnen und Bauern ebnen auch den Weg für die Einheit der Landwirt*innen: Gross- und Kleinproduzent*innen sowie arme und reiche Produzenten oder Bäuerinnen aus dem Norden und Süden protestieren für die gleiche Sache. Die mehr als 300 Bauernorganisationen arbeiten zusammen, indem sie sich auf zwei Forderungen konzentrieren: die Ablehnung der drei neuen Agrargesetze der Regierung und die Einführung fairer Mindestpreise. 

Die drei neuen Landwirtschaftsgesetze
Mit dem ersten Gesetzesentwurf will die Regierung die regulierten Märkte liberalisieren. Bislang profitieren vor allem nordindische Produzent*innen von regulierten Märkten mit Mindestpreisen für Grundnahrungsmittel wie Weizen, Reis, Zwiebeln oder Zuckerrohr. Die Landwirt*innen befürchten, dass der Gesetzesentwurf der Regierung zur Deregulierung und zu einem Preisverfall führt. Mit dem zweiten Gesetzesentwurf will die Regierung die Beschränkung des Besitzes bestimmter Rohstoffe aufheben. Bislang können Händler*innen nicht unbegrenzt bestimmte lebenswichtige Rohstoffe zu einem niedrigen Preis einkaufen und dann zu höheren Preisen verkaufen, sobald die Mengen knapp wurden. Dadurch sollen erschwingliche Preise für alle garantiert werden. Der dritte Gesetzesentwurf betrifft die Vertragslandwirtschaft. Dabei werden umstrittene Bestimmungen, die die grossen Konzerne begünstigen, in das Gesetz aufgenommen: Die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Kleinproduzent*innen und Grosshändler*innen beispielsweise soll ausserhalb der Zuständigkeit der Gerichte liegen.

Indiens Fair Trade Moment
Laut Tomy würde die Rücknahme dieser drei Gesetzesentwürfe an sich nicht zum Erreichen des Hauptziels der Produzent*innen führen: faire Preise. Deshalb fordern die Bäuerinnen und Bauern gleichzeitig mit der Rücknahme dieser Gesetze die Verabschiedung eines neuen Gesetzes, das Mindestpreise garantiert. Er erklärt, dass dies Indiens Fair Trade Moment ist: Indien als Land muss bekräftigen, dass jede Bäuerin und jeder Landwirt ein Recht auf einen fairen Preis hat. Daher sollten die indischen Verbraucher*innen fair produzierte Waren kaufen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sich die Mentalität ändern. Dem Argument, dass ein alternativer Handel möglich ist, wird oft widersprochen mit Aussagen wie «es gibt keine Alternative» oder «man muss international wettbewerbsfähig sein». So werden niedrige Löhne und Preise gerechtfertigt. Tomy Mathew sagt, dass Crowd Container und andere ähnliche Initiativen das Ziel der indischen Produzent*innen unterstützen, indem sie beweisen, dass ein alternatives Handelssystem möglich ist.

Benjamin Krähenmann

Der Umweltingenieur hält Ausschau nach Projekten mit positivem Impact auf Mensch und Umwelt. Über neue Köstlichkeiten für das Crowd Container Sortiment denkt er am liebsten auf einer Velotour oder beim Brot backen nach.

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