Wie landen weniger Lebensmittel in der Tonne?

30. Mai 2022 | von Caspar Lundsgaard-Hansen
Verein_FoodTalk_Foodwaste

Im zweiten Berner FoodTalk vom 30. Mai 2022 haben rund 25 Berner*innen im Impact Hub Bern über das Thema Foodwaste und die Frage, wie sich dieser verringern lässt, diskutiert. Folgende vier Expert*innen beantworteten die Fragen aus dem Publikum:

Foodwaste: Bedeutung und Vorkommen
Foodwaste bezeichnet das Wegwerfen von Lebensmitteln, die zum Verzehr vorgesehen sind. Lebensmittelverschwendung geschieht auf jeder Stufe der Lebensmittelproduktion und des Konsums: Beim Anbau, bei der Verarbeitung, beim Verkauf und bei den Endkonsumierenden. Im Durchschnitt werden in der Schweiz über die gesamte Lebensmittellieferkette pro Kopf und Jahr 330 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen! Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von irreführenden Preissignalen, falschen Vorstellungen und Wissensmangel (z.B. betreffend Haltbarkeits- und Verbrauchsdaten) bis hin zu Bequemlichkeit. Das ist in der Summe nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch eine Verschwendung von wichtigen Ressourcen wie fruchtbarem Boden, Wasser und Energie. Was können wir dagegen unternehmen?

Weniger Lebensmittelverschwendung dank mehr Bildung…
Ein wichtiges Handlungsfeld ist das Wissen der Endkonsument*innen. Judith Deflorin sagt, dass wir in der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur wieder lernen müssen mit Lebensmitteln umzugehen: «Ein Joghurt, dass morgen abläuft, kann ich auch danach noch essen.» Doch viele Menschen verlassen sich nicht mehr auf ihre Sinne, sondern folgen blind Mindesthaltbarkeitsdaten (!) auf der Verpackung eines Produkts. Könnte vielleicht der klassische «Haushaltsunterreicht» an Schulen Abhilfe schaffen? Kinder und Jugendliche ihren Eltern nach Schulschluss neues, altes Wissen vermitteln?

und weniger prall gefüllter Regale
Eng damit verknüpft ist das Handlungsfeld unserer Erwartungen und des individuellen und gruppensozialen Verhaltens. Eine Stimme aus dem Publikum stellte fest: «Man hat heute das Gefühl, dass man zu jeder Zeit alles haben können muss – und wenn es nicht mehr topfrisch ist, hat es keinen Wert mehr und fliegt weg.» Josephine Scherler setzt dem die Vorstellung entgegen, dass wir eben gerade nicht erwarten sollten, bis Ladenschluss immer volle Regale vorzufinden. Sie hälft aber auch fest: «Es gibt Bäckereibetriebe, die aus betriebswirtschaftlicher Optik davon ausgehen, dass ca. 7% Foodwaste ideal sind zur Optimierung der Verkaufserträge.» Das zu ändern erfordert viel Überzeugungsarbeit – und das Setzen von Anreizen: Warum z.B. nicht einen Zusammenschluss von Bäckereien fördern, um die Konkurrenzsituation untereinander zu entschärfen und ein gemeinsames Benchmarking einzuführen? Karin Spori ist sicher: «Niemand will Letzter sein – und am meisten Lebensmittel verschwenden.» Überhaupt ist kompetitive Kooperation vermutlich ein Schlüsselgedanke für eine Gesellschaft mit weniger Foodwaste, z.B. auch durch Vertragslandwirtschaft, die Produzent*innen und Konsument*innen näher zusammenführt.

Führen höhere Preise zu weniger Foodwaste?
Damit landet man schnell bei einem weiteren wichtigen Handlungsfeld: dem Markt und den Preisen. Eine ältere Stimme aus dem Publikum hat daran erinnert, dass frühere Generationen bedeutend weniger verschwendet haben: Der Wohlstand war geringer und Lebensmittel haben im Verhältnis zum Einkommen deutlich mehr gekostet. Sollten wir deshalb weniger produzieren, das Angebot künstlich verknappen? Weniger Produktion + höhere Preise = weniger Überfluss, mehr Wertschätzung und weniger Verschwendung? Dieser grundlegende Gedanke wurde kontrovers diskutiert. Einig war sich das Plenum darin, dass der Preis ein zentraler Faktor darstellt – und dass insbesondere die Grosshändler Coop und Migros sehr hohe Markt- und damit Preismacht besitzen in der Schweiz. Die Zusammenarbeit mit ihnen ist deshalb von hoher Bedeutung. Gleichzeitig hält Karin Spori aber auch fest, dass Landwirte grundsätzlich besser dastehen, wenn sie verschiedene Absatzkanäle pflegen: «Wenn man nur an die Grosshändler liefert, ist man auch alleinig von deren Preispolitik abhängig.»

Mitbestimmen, um das Richtige zu tun
Schlussendlich wünscht sich Josephine Scherler, dass «das System zunehmend so gestaltet wird, dass Konsument*innen möglichst automatisch das Richtige tun.» Und damit eröffnet sich ein weiteres Handlungsfeld im Umgang mit Foodwaste: die Regulierung. Dazu hält Judith Deflorin u.a. fest, dass Gesetze in der Schweiz nur Grundsätze festlegen; Branchen oder sogar Betriebe definieren dann oftmals selbst, wie sie die gesetzlichen Grundlagen umzusetzen gedenken. Zwar lassen sich Produzent*innen im Lebensmittelsektor dabei u.a. durch Haftungs- und Reputationsrisiken leiten, doch entsteht für sie auch ein nützlicher Handlungsspielraum! Und auch auf der übergeordneten Gesetzesebene verfügen wir in der Schweiz dank unserem hohen Mass an Mitbestimmungsrechten (z.B. Initiativen) über Einflussmöglichkeiten. Karin Spori dazu optimistisch: «Deshalb glaube ich an die Kraft verbündeter Individuen!“ – womit sich der Kreis zu unserem eigenen Verhalten schliesst.

Letzten Endes hält Karin Spori fest, dass die Reduktion von Foodwaste ein langfristiges und komplexes Unterfangen ist: «Steter Tropfen höhlt den Stein! Jede und jeder von uns ist ständig mit vielen unterschiedlichen Themen beschäftigt. Doch je mehr wir mit einem Thema wie Foodwaste konfrontiert werden, desto eher bewirkt es etwas. Jede und jeder steht woanders: Jemand kauft zu viel ein, jemand weiss nicht wie Lebensmittel zu verarbeiten sind. Das bedeutet, dass wir die Herausforderung von verschiedenen Seiten angehen müssen.» Dabei gilt es, sich nicht von den Schwierigkeiten lähmen zu lassen, sondern auch immer wieder den Blick auf das Positive zu richten.


Der FoodTalk wird gemeinsam organisiert von Crowd Container, Bärenhunger, BENE – Verein für Nachhaltige Entwicklung an den Universität Bern, dem Ernährungsforum Bern und der BFH-HAFL – Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften.


Werde Teil der Crowd Container Community
Mit deinem Beitrag bleiben wir dran. Ob an unseren diversen Events, im direkten Austausch mit Produzent*innen oder in unseren Videos: Wir gehen deinen Fragen nach und verändern die heutige Welt, wie Lebensmittel produziert und gehandelt werden – immer mit dem Ziel, dass wir unserer Vision einer vielfältigen, klimapositiven Landwirtschaft näherkommen. Danke für deine Unterstützung!

Caspar Lundsgaard-Hansen

Caspar ist Stadtplaner und -entwickler in Bern. Er ist Gründer des Vereins Bärenhunger und engagiert sich für eine genussvolle, innovative und nachhaltige Foodhauptstadt Bern.

Hinterlassen Sie einen Kommentar