Schweizer Haselnüsse im Aufwind: Rückblick auf ein Pionierprojekt für mehr Biodiversität und nachhaltige Ernährung

08. Mai 2025 | von Benjamin Krähenmann
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90% der in der Schweiz konsumierten Haselnüsse stammen aus der Türkei. Dabei ist die Haselnuss eigentlich in der Schweiz heimisch! Seit 2022 hat Crowd Container zusammen mit dem Ökologen und Landwirt Stefan Gerber an einem zukunftsweisenden Projekt gearbeitet: der ersten grösseren Haselnussanlage im Kanton Zürich. Nach drei Jahren ziehen wir Bilanz und fassen spannende Erkenntnisse aus unserem Projekt zusammen.

Ein Sortengarten für die Zukunft

Im Zentrum des Projektes steht ein einzigartiger Haselnusssortengarten, der mittlerweile auf beeindruckende 72 verschiedene Sorten angewachsen ist. Was als Sammlung mit rund 50 Sorten begann, wurde durch Neuzüchtungen der Oregon State University und hybride Pflanzen systematisch erweitert. Dieser Schatz an genetischer Vielfalt liefert auch wertvolle Erkenntnisse für den Schweizer Haselnussanbau.

Stefan Gerber hat über drei Jahre hinweg akribisch die Blütezeiten der verschiedenen Haselnusssorten dokumentiert – ein Novum für die Schweiz. Diese Beobachtungen sind Gold wert, denn für eine erfolgreiche Bestäubung müssen die männlichen und weiblichen Blütephasen unterschiedlicher Sorten überlappen. Was in Italien oder der Türkei funktioniert, muss in unserem Klima nicht zwangsläufig klappen! Ein spannendes Beispiel: Das klassische Bestäuberpaar «Tonda Romana» und «Tonda di Giffoni» funktioniert in der Schweiz nicht. Bei uns verblüht die weibliche Blüte von «Tonda di Giffoni» bereits, bevor die männliche Blüte von «Tonda Romana» überhaupt öffnet. Solche Erkenntnisse sind entscheidend für den Erfolg künftiger Schweizer Haselnussanlagen.

Wenn Biodiversität auf Landwirtschaft trifft

Die Haselnussanlage in Mettmenstetten ist weit mehr als nur ein Produktionsstandort – sie ist ein lebendiges Ökosystem. Ein professionelles Monitoring durch die Ö+L GmbH zeigte: Im Vergleich zu zwei anderen Obst- und Beerenbetrieben in der Region schnitt die Haselnussplantage hinsichtlich Anzahl und Arten von Wildbienen am besten ab.

Die Vielfalt der umgesetzten Biodiversitätsmassnahmen ist beeindruckend:

  • Wildhecken mit Wildrosen, Kornelkirschen und Sanddorn
  • Wieselburgen als Unterschlupf für die kleinen Jäger
  • Nützlingsstreifen zwischen den Haselnussreihen
  • Schaffung offener Bodenstellen für spezialisierte Arten
  • Nistkästen für verschiedene Vogelarten

Der Erfolg lässt sich sehen und hören: Ganze 49 Vogelarten wurden in und um die Anlage beobachtet – darunter der selten gewordene Neuntöter und sogar ein Wiedehopf, der auf seinem Zug Rast machte. Die installierten Nistkästen waren bereits im ersten Jahr vollständig von Kohlmeisen, Blaumeisen und Feldsperlingen besetzt.

Besonders erfreulich: Die Mäusepopulation blieb dank der natürlichen Feinde wie Turmfalken und Wieseln auf einem niedrigen Niveau – ein Beweis dafür, dass biologischer Pflanzenschutz funktioniert!

Der Boden als Grundlage

Die dreijährige Projektphase zeigte eindrücklich, wie entscheidend ein gesunder Boden für den Erfolg einer Baumkultur ist. In einer der Parzellen, die zuvor über 30 Jahre als Kuhweide mit einzelnen Hochstammobstbäumen diente und nie umgebrochen wurde, entwickelten sich die Haselnussbäume prächtig.

Anders sah es in der Parzelle aus, auf der zuvor als Ackerbau mit jährlichem Umbruch betrieben wurde. Hier war der Ausgangszustand suboptimal: wenig Humus und dazu noch Nährstoffmangel. Durch gezieltes Management mit Kleemischungen, grosszügigen Holzschnitzelgaben und kompostiertem Hühnermist konnten wir die Bodenfruchtbarkeit schrittweise verbessern.

Die Botschaft ist klar: Während die Nährstoffversorgung relativ schnell verbessert werden kann, braucht der Aufbau von Humus und biologischer Aktivität Zeit und Geduld. Zeit und Geduld, die unabdingbar sind – denn bei Baumkulturen wirkt sich die Bodengesundheit noch stärker auf die Pflanzengesundheit aus als bei Ackerkulturen.

Wie klimafreundliche sind Schweizer Haselnüsse?

Gemeinsam mit der Stiftung myclimate haben wir eine umfassende Ökobilanz erstellt, die den Schweizer Anbau mit der Produktion in Italien und der Türkei vergleicht. Die Ergebnisse sind vielschichtig und zeigen interessante Nuancen:

  • Der Anbau selbst ist für den Grossteil der Umweltwirkung verantwortlich: 79% der Treibhausgasemissionen und sogar 95% der gesamten Umweltbelastung entfallen auf die Anbauphase.
  • Die absolute Umweltbelastung der Mettmenstetter Anlage ist am geringsten unter den verglichenen Produktionsstandorten. Pro Kilogramm Haselnüsse schneidet Italien allerdings noch leicht besser ab – was hauptsächlich an den höheren Erträgen pro Hektar liegt, die dort erzielt werden.
  • Ein interessanter Aspekt der Schweizer Produktion: Die als „direkte Einflüsse“ bezeichneten Umweltauswirkungen (also der Ausstoss direkt auf der Plantage) fallen in Mettmenstetten vergleichsweise hoch aus. Der Grund dafür liegt in der Berechnung: Für die Ökobilanz wurde der durchschnittliche Schweizer Kompost-Mix mit seiner relativ hohen Schwermetallbelastung als Datenbankwert verwendet – obwohl Stefan Gerber ausschliesslich Bio-Kompost einsetzt, dessen tatsächliche Umweltbelastung wahrscheinlich geringer ist.
  • Ein zentraler positiver Aspekt: Der Haselnussanbau kann erhebliche Mengen CO₂ im Boden speichern: etwa 3,66 kg CO₂-Äquivalente pro Kilogramm geernteter Haselnüsse. Diese CO₂-Bindung ist jedoch nur nachhaltig, wenn die Fläche langfristig als Haselnussanlage genutzt wird.

Die Ergebnisse dieser Ökobilanz sind ein wichtiger Ausgangspunkt, aber noch nicht das Ende der Geschichte. Steigende Erträge (wenn die Plantage im Vollertrag ist) und eine Optimierung der Komposteinsatzes dürften die Umweltbelastung pro Kilogramm Haselnüsse weiter sinken lassen.

Community-Engagement und Medienecho

Ein grosser Erfolg des Projektes war die aktive Einbindung der Community. Bei mehreren Freiwilligeneinsätzen packten freiwillige Helfer*innen an, pflanzten Bäume, verteilten Holzschnitzel und installierten Nistkästen. Besonders die Kooperation mit der SwissRe Foundation im Rahmen ihrer „community days“ ermöglichte es uns, noch mehr Menschen für eine regenerative Landwirtschaft zu begeistern. Die dreimal durchgeführten öffentlichen Führungen durch die Anlage stiessen auf grosses Interesse verschiedenster Akteur*innen und generierten ein beachtliches Medienecho – vom lokalen Affolter Anzeiger über die BauernZeitung und den Schweizer Bauer bis hin zur SonntagsZeitung und einer ausführlichen Reportage im BioTerra Magazin.

Was bleibt und wie geht’s nun weiter?

Nach drei intensiven Projektjahren können wir mit Stolz sagen: Wir haben die Basis für eine neue, resiliente Baumkultur in der Schweiz gelegt. Je grösser die genetische Vielfalt innerhalb einer Kultur, desto höher ihre Anpassungsfähigkeit und Resilienz gegenüber den Herausforderungen des Klimawandels. Die ersten Schweizer Haselnüsse konnten bereits geerntet und über Crowd Container vermarktet werden. Und die positiven ökologischen Effekte werden in den kommenden Jahren weiter zunehmen – die Natur braucht Zeit, aber belohnt Geduld.

Für die Zukunft planen wir, das gewonnene Wissen noch gezielter mit interessierten Landwirt*innen zu teilen. Dank der systematischen Dokumentation der Blütezeiten können wir nun fundierte Empfehlungen für Sortenkonstellationen geben, die in der Schweiz optimal funktionieren. Das ermöglicht weiteren Pionier*innen den Einstieg in diese vielversprechende Kultur. Langfristig sehen wir ein grosses Potenzial für den Ausbau der Schweizer Haselnussproduktion – als nachhaltigen Beitrag zu einer klimafreundlichen und biodiversitätsfördernden Lebensmittelversorgung. Die Erkenntnisse aus diesem Pionierprojekt bieten die ideale Grundlage dafür.

Unser Fazit: Die Kombination aus landwirtschaftlicher Produktion und konsequenter Biodiversitätsförderung ist nicht nur möglich, sondern schafft ein resilientes System mit vielfältigem Nutzen für Mensch und Natur. Die Schweizer Haselnuss ist auf dem besten Weg, eine klimafreundliche und biodiversitätsfördernde Alternative zu Importnüssen zu werden.

Benjamin Krähenmann

Der Umweltingenieur hält Ausschau nach Projekten mit positivem Impact auf Mensch und Umwelt. Über neue Köstlichkeiten für das Crowd Container Sortiment denkt er am liebsten auf einer Velotour oder beim Brot backen nach.

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Brigitta Höller am 13. Mai 2025 um 17:50

    Super,das mit den Haselnüssen;
    bin Haselnussmus süchtig👍🏻
    Die Ökobilanz wird noch viel besser,wenn wir uns kalifornische
    Mandeln abgewöhnen . Mir hilft
    Haselmus auch gegen Zuckerschoki !
    Merci vielmol

  2. Veröffentlicht von natalie.kunz am 10. Mai 2025 um 7:36

    Spannender Beitrag 🙏

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